Alles was sich über meine Trampzeit vor 1977 nach 'Abenteuer mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen' liest, war tatsächlich oft nur durchzuhalten weil ich nicht aufgeben wollte. Einige Erlebnisse wurden trotz ihrer Heftigkeit von mir sofort danach abgehakt, und es zählte nur der nächste Augenblick.Das vielbesungene Idyll des Hippieaussteigers war eine Fiktion. Rückblickend gabs damals 3 Sorten Tramper auf den Strassen der Welt: Den Reisenden, der einigermassen organisiert und mit klarem Ziel unterwegs war. Die Zeitgeistkinder, die sich 3 Monate lang die "Hörner abstossen" durften, damit sie danach in Führungspositionen die schlimmsten Sauerein mittragen können. Und dann die Unangepassten und Verweigerer, die sich nach dem Motto "subito" alles nahmen, was sich ihnen eigentlich nicht geboten hätte.
Wer wie ich mit schmalem bis leerem Geldbeutel die Welt erfahren wollte, unterschied sich sehr grundsätzlich von Trampern mit der Notbremse Interrailticket bzw Trampern mit Rückflugticket (hauptsächlich US-Amerikaner).
Kriminell waren wir alle! Jeder hatte so seine spezielle Masche, mache sogar deren mehrere. Man lies sich in den Gold-und Devisenschmuggel einspannen, war Drogenkurier, spielte eine untergeordnete Rolle für Medikamentenschieber, war Fahrer der Autoschieber oder Touristenschlepper für Neppanbieter. Ich verbürge mich für die Unvollständigkeit der Aufzählung ;-). Wer sich zum Kameradendiebstahl hinreissen lies, war allerdings auf der untersten Stufe angelangt. Nach meiner Erfahrung trennte sich die Spreu vom Weizen an genau benennbaren Punkten: Gewalt, Diebstahl und ab einem gewissen Punkt auch beim Thema Drogen. Aus manchen Sümpfen des Existenzerhaltes gabs schlicht kaum einen Ausweg.
Mein Kumpel während des Kurdistan-Trips wurde, Gerüchten zu Folge, ein Jahr später in einem sehr kalten Winter erfroren unter einer Brücke bei Kabul gefunden. Anscheinend war auch hier die Nadel sein Schicksal. Ein Schweizer, den ich topfit auf meiner 2. Orienttour in Istanbul traf, war 4 Monate später bei meiner Rückreise nur noch ein bettelndes Wrack. Wunderbare Menschen, die ich ein Jahr später wieder irgendwo auf der Strasse traf, waren paranoische Kleinkriminelle geworden, die keinem mehr trauten, weil sie sich selber nicht mehr trauen konnten. In meinen jungen Jahren waren Schwule eine ständige Bedrohung, mindestens aber Nervsäcke. Ich wurde aus vorbeifahrenden Autos bespuckt. Ich ging tagelang Strassen entlang, weil im Dauerregen keiner das triefende Elend auf seinem Autositz haben wollte - bis ich mich in einem verfallenen Haus einrichtete, um mich trocken zu bekommen. Ich ging während verschiedener Touren mehrmals tagelang mit Hungerkrämpfen im Magen weiter, weil eine Weisheit der Strasse lautet: wer sich hinsetzt und aufgibt, stürzt ab.
Aber: In der Morgensonne im Schlafsack liegend, spüren wie die Sonne die Knochen wärmt, während unten im Tal die Ziegenherde aus der Palmenoase getrieben wird - das Leben konnte manchmal wirklich schön sein.